konrad kirsch verlag

Wissenschaft

Klaus Bonn

Um saure Lunge mit Spiegelei

Zu Gyula Krúdys Roman Meinerzeit. Menü in zwölf Gängen

 

978-3-929844-15-3
2003
Vergriffen

Abstract: Der 1930 erschienene Roman des Ungarn Gyula Krúdy, Boldogult ùrfikoromban, kongenial ins Deutsche übertragen unter dem Titel Meinerzeit (1999) von Christina Viragh, zeugt von Begegnungen, Zusammenkünften in einem Gasthaus der Pester Innenstadt, von wehmütigem Rückblick auf den Zusammenbruch der Donaumonarchie, Tiraden und Nörgeleien um die Jetzt-Zeit, da früher doch alles so viel besser gewesen ist, vorab Essen und Trinken.
Geradezu exemplarisch um einen einzigen Tag, den 6. Februar, irgendwann in den 1920er Jahren, ist es dem Text zu tun. Ein Aufbruch von der Margareten-Insel mit Kutsche und Pferdestraßenbahn zum Lokal und die Rückkehr über den Fluss klammern das lokale Zentrum des Geschehens, das Gasthaus Stadt Wien, gleichsam ein. Der vorliegenden Studie geht es um Skizzen zur Topographie einer Pester Straße, eine kleine Soziographie der Mahlzeiten und die Figuration mancher Wirtshausgäste.
 
Aus dem Text: Noch bevor das Frühstück, im Falle von Kacskovics Kalbshirn mit Niere, aufgetragen wird, macht ein drahtenes Körbchen mit allerlei Salzgebäck auf sich aufmerksam. »Kaisersemmeln, Wassersemmeln, Kümmelsemmeln, Salzgipfel und Bretzeln – in den Kümmernissen des Lebens jede ein Augenblick der Selbstvergessenheit.« Damit ist so etwas wie eine Losung des Textes von Gyula Krúdy ausgegeben. Wer isst, vergisst, spürt, dass er noch am Leben ist. Als könnte mit jedem Biss auch die alltägliche Trostlosigkeit verzehrt und, zur Sicherheit, mit einem Schluck Wein oder Bier fortgespült werden. Vom Suchtfaktor, wenn sich solche Betätigung zur Dauerbeschäftigung auswächst, müssen unter anderen Stifter und Flaubert gewusst haben. Der Präsident jedenfalls, mit »mindestens hundertfünfzig Kilo« veranschlagt, dirigiert das Geschehen im Wirtshaus, nörgelt an den unzulänglichen Grußformen des Kellners herum und gibt genaue Anweisungen, wie sein Frühstück, saure Lunge mit Spiegelei, zuzubereiten sei. Solche Drangsalierung gebiert sich als platter Formalismus; sie ist weit entfernt davon, eine überindividuell regulierte Form der Einnahme von Speis und Trank tatsächlich einzufordern. Erst als das Essen auf dem Tisch steht, lässt der Redezwang nach, der Präsident wird »handzahm«, und obgleich er mit dem Kellner noch hadert, rückt die mit dem Besteck traktierte Speiselandschaft in den Vordergrund. Der Mann ist damit beschäftigt, »[…] das über die saure Lunge geschmiegte Spiegelei mit den lauscherartigen Lorbeerblättern und den da und dort schwimmenden sehnigen Stücken zu vermengen, nachdem er mit dem Löffel die ordnungsgemäßen Runden in der Speise gezogen hatte.« Man kann nicht sagen, dass hier ein Feinschmecker am Werke sei, aber doch ein Routinier. Selbstvergessenheit scheint den Präsidenten nicht erfasst zu haben, irrt doch sein Blick »[…] zwischen den geflochtenen Gebäckkörbchen auf dem Tisch hin und her, er langte mit seiner großen Hand unentschlossen von einem Korb in den andern, ließ die Salzgipfel, Kaisersemmeln, Wassersemmeln und Brotstücke knuspern, schüttelte nach jedem Knuspern immer düsterer den Kopf.« Die überhastende, hektische Geschäftigkeit, wie sie der Präsident zwischen seinem unbändigen Drang zu reden und der Fressgier an dem Salzgebäck auslässt, gleicht dem notorischen Getriebe auf der Straße; die Bewegung des Hinein (der Nahrung) und des Heraus (der gesprochenen Sprache) assimiliert sich dem Geschiebe, dem Ein- und Ausladen draußen. Ein Ort zum Ausruhen scheint die Wirtsstube dem dicken Mann jedenfalls nicht. Bevor er sich endlich über sein Gabelfrühstück hermacht, lässt er noch seinen Wahlspruch hören: »Das ganze Leben ist Geschmackssache. Ich habe im Rudas-Bad einen alten Hühneraugenschneider, der jedesmal die Hühneraugen vorzeigt, die er berühmten Leuten von den Füßen geschnitten hat. Das größte war bisher das von Dezső Szilágyi, na, der Mann war aber auch entsprechend.« Eine Bemerkung, die Kacskovics gegenüber der jungen Vilma quittiert mit den Worten: »Man muss das alles so verstehen, dass der Herr Präsident solche Geschichten zum Besten gibt, um seine Tischgenossen von ihrem Appetit zu befreien, nachdem er selbst im Lauf des längeren Gestänkers seinen Appetit gefunden hat. Vielleicht würde ihm die Speise am besten schmecken, wenn Vájsz, der Wirt, sich vor seinen Augen am Türsturz erhängte.« Der Präsident, der jeden für verrückt hält, der den Kaiser Franz Joseph überlebt hat, kränkelt an seinem eigenen Fortleben und hat die Tyrannei nötig, um den Verlust an eigener Daseinskraft zu kompensieren. Tatsächlich haben weder die Weine an Qualität eingebüßt noch ist das Essen schlechter als zu Kaisers Zeiten. So beschwört er in einem langen Monolog die Sieben-Deziliter-Bouteillen seiner seligen Jungherrenzeit, um gleich darauf eben solche schlanken Flaschen beim Kellner zu ordern.

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Harald Bost

Die Schrift mit Augen

Kafkas ägyptische Rätsel

 

978-3-929844-21-4
2006

Abstract: Franz Kafkas Texte sind rätselhaft: Wieso wacht jemand morgens als Käfer auf und stirbt an einem Apfel, der in seinem Rücken steckt? Warum wird jemand morgens verhaftet und nach einem Prozeß ohne Verhandlung und Urteil erstochen? Weshalb foltert sich ein Henker selbst zu Tode? – Wenn solche Geschichten Alpträume sind, fehlt ihnen doch der Träumer und das erlösende Erwachen. Die Romane und Erzählungen geben sich realistisch, sind es aber nicht. Kafkas Werke, heißt es, seien Parabeln, Gleichnisse, Beispielerzählungen. Aber wovon? Sie sind nicht nur rätselhaft, sondern bewußte Verrätselungen und Mystifikationen – Mystifikationen des Kunstschaffens und der künstlerischen Existenz.
Den ersten Schlüssel zu ihnen liefert der ägyptische Mythos. So verbirgt sich hinter dem Käfer Gregor Samsa nicht irgendein Käfer, sondern ein Mistkäfer, der Scarabaeus sacer der Ägypter. Samsas Zimmer stinkt von Unrat und dreht sich um ihn – wie eine Mistkugel. Samsa durchläuft darin seine Verwandlung, um als Gott der Morgensonne, Chepri, den der Skarabäus symbolisiert, wieder zu erstehen. So wie das ägyptische Buch vom Tage es erfleht: »Entstehe doch Chepri, damit du deine Verwandlungen durchläufst«. 
Der zweite Schlüssel zu Kafkas Rätseln ist das Wortspiel; es reicht vom doppeldeutigen über das verfremdete Wort bis zum Spiel mit Klängen. So ist unter dem Wort Prozeß, das dem Roman seinen Namen gegeben hat, weniger ein Straf- als vielmehr ein Schreibprozess zu verstehen, der mit der Verhaftung von Josef K. beginnt. Diesem Prozess verhaftet zu sein, ist Pflicht und Schuldigkeit dessen, der die Anlage zum Schreiben hat. Sich nicht verhaften zu lassen, würde Josef K.s »großen, verfluchten Prozeß« im Keim ersticken. In einem solchen Prozess sind Richter Dichter, Gerichte Gedichte, Angeklagte poetisch Veranlagte. 
Allen Jargon vermeidend versucht Die Schrift mit den Augen dem wissenschaftlichen wie dem ›normalen‹ Leser, Kafkas Texte über den ägyptischen Mythos und das Wortspiel zu erschließen.
 
Aus dem Text: »Ich werde schwer aufzuschlüsseln sein«, schreibt Kafka am 30. August 1912 in sein Tagebuch.
Man muss übersetzen, um seine Rätsel zu lösen, seine ›Nüsse zu knacken‹. Die Methode, mit der es gelingt, ist, das Wort wörtlich zu nehmen in allen seinen Möglichkeiten, als Bild, Chiffre, kryptische Buchstabenfolge, Klang. Kafkas Werke sind Wortspiele. Und bei aller scheinbaren Phantastik mancher hier vorgelegten Entschlüsselungen, sollten doch gerade sie die Lektüre dieses kleinen Kafka-Kommentars vergnüglich gestalten. Selbst da, wo sie abwegig erscheinen, bleiben sie Kafkas Werk verbunden und wo man aus ihnen nichts lernt, lernt man doch Kafkas Text näher kennen.

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Harald Bost

Ägyptische Götter in der Verwandlung

Eine mythologische Entschlüsselung von Franz Kafka Die Verwandlung

 

978-3-929844-31-3
2008

Aus dem Text: Kafka bedient sich zur Darstellung seiner schriftstellerischen Existenz und seines Schreibens der Vorstellungswelt des ägyptischen Mythos. Dessen Götter verfremdet er im Sprachspiel. Für Die Verwandlung bedeutet das: Die Samsas sind eine Götterfamilie. Die vornehmste Aufgabe der Götter ist die Erschaffung der Welt. Beim Erzählen ihres Schöpfertums entsteht ihre Geschichte als ein Werk der Poesie. Wenn Gregor Samsa abends von seinen Geschäftsreisen nach Hause kommt, widmet er sich »seinem eigentlichen Geschäft zu Hause«.
Dieses eigentliche Geschäft, das mehr oder weniger nachts betrieben wird und aus dem er eines Morgens wie Pharao (1 Moses 41, 7-8)2 »aus unruhigen Träumen erwachte«, ist das Schreiben. Kafka schreibt nachts. Und »der, welcher in der Nacht arbeitet«, gilt »als Schöpfer der Welt« (Tagebücher 573). Dabei wird das Formulieren dieser Schöpfung selbst Gegenstand der Erzählung, das Flimmern, Zappeln und Tanzen der vielen Beinchen zur Allegorie des Schreibaktes.

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Harald Bost

»Ein ungeahnter vielfarbiger Schatz aller Juwelen«

Marcels Reise nach Balbec und Venedig im Lichte der Kathedrale von Chartres

 

978-3-929844-16-0
2008

Aus dem Text: Marcel Prousts Roman A la recherche du temps perdu umfasst in der deutschen Übersetzung viertausendeinhundertfünfundachtzig Seiten. Viertausendeinhundertfünfundachtzig Seiten Suche nach verlorener Zeit, davon am Ende fast fünfhundert Seiten wiedergefundene Zeit. Was hat der Protagonist und Erzähler da denn wiedergefunden, das er verloren glaubte? Und was heißt es, Zeit wiederzufinden? Vertun, vergeuden, verschwenden – verlieren kann man Zeit, aber kann man sie wiederfinden wie irgendein Ding?
Das, wonach der Ich-Erzähler des Romans, Marcel, sucht, ist seine Selbstverwirklichung als Schriftsteller. Er will schreiben und sucht sowohl nach einem Gegenstand, einem Thema, einem sujet, für seinen Roman als auch nach der Art und Weise seiner Darstellung. Aber alles, was er im Verlaufe seiner Erzählung zu Papier bringt, ist eine kleine Skizze über die Kirchtürme von Martinville, die er auf einer Kutschenfahrt angesichts der Türme in der Abendsonne entwirft. Sie beträgt etwas mehr als eine Seite, keine viertausend. Die restlichen Seiten sind der Bericht der Suche in all ihren Umständen und Überlegungen, die am Ende den Roman der Suche ergeben. Der Leser begleitet den Erzähler bei seiner Suche, aber was hat er am Ende in der wiedergefundenen Zeit, der temps retrouvé, gefunden?

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Walter Burnikel

»Gebt ihm ein Liebchen des Nachts«

Martial und Goethes Venezianische Epigramme

 

978-3-929844-28-3
2008

Aus dem Text: Goethe und die Antike – da gibt es allseits anerkannte und sehr enge Beziehungen. Die sprachlichen Voraussetzungen, Griechisches und Lateinisches im Urtext zu lesen, brachte Goethe in einem für uns heute staunenswerten Ausmaß mit: Latein konnte er nicht nur lesen (wir wissen, daß er sich nahezu mit der gesamten damals bekannten römischen Literatur befasst hat), er konnte es auch mühelos schreiben, von Kindesbeinen an.

Kurz vor seiner Reise nach Venedig hat er z.B. eine lateinische Abhandlung über die Priapea, eine Sammlung derb-obszöner lateinischer Gedichte, verfasst und seinem Herzog gewidmet. Was Martial betrifft, so besaß Goethe drei Ausgaben, die noch heute als Teil seiner Bibliothek vorhanden sind. Die jüngste von 1782 hat er so intensiv durchgelesen, dass er imstande war, Druckfehler des lateinischen Textes zu korrigieren (eine deutsche Übersetzung war nicht beigefügt; Goethe brauchte keine). – Mit griechischen Epigrammen kam er seit 1780 durch Herder in Berührung, der eine Reihe von Übersetzungen und Bearbeitungen herausgab. Einen energischen Schub in Goethes zunächst eher zurückhaltender Antikebeschäftigung brachte die große Italienreise 1786–1788, die ihn übrigens ein erstes Mal nach Venedig führte. »Gott sei Dank«, schreibt er von dort, »wie mir alles wieder lieb wird, was mir von Jugend auf wert war! Wie glücklich befinde ich mich, daß ich den alten Schriftstellern wieder näherzutreten wage!«

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Martin Büsser

Zum Einsatz von Geräusch und Elektronik in der Musik

Ein einleitender Überblick

 

978-3-929844-25-2
2008
Vergriffen

Aus dem Text: The KLF, das Duo aus Bill Drummond und Jimmy Cauty, gehören sicher zum größten Kuriosum der Popgeschichte. Im Grunde handelte es sich um zwei anarchische Aktionskünstler, die den Acidhouse-Boom vorwiegend als breitenwirksame Plattform für ihre neodadaistischen Aktionen nutzten, die von Autobahn-Besetzungen bis zum eigens gestifteten Anti-Turner-Preis reichten. Dieser Kunstpreis wurde jährlich dem »schlechtesten Künstler« verliehen, war doppelt so hoch datiert wie der Turner-Preis, die höchste britische Auszeichnung auf dem Kunstmarkt, und wurde von The KLF automatisch an den Künstler verliehen, der auch den Turner-Preis gewonnen hatte. Solche kostspieligen, den Kunst- und Musikbetrieb attackierenden Scherze konnten sich The KLF dank einfach gestrickter, millionenfach verkaufter Dancenummern erlauben, mehr noch, sie brachten sogar ein Buch heraus, in dem sie die Mechanismen der Musikindustrie aufdeckten und zeigten, wie man todsicher einen Nummer-Eins-Hit landete. Eine Band, die sich Wort für Wort an die Anleitung des KLF-Handbuches gehalten hatte, war das Duo Edelweiss aus Österreich – mit Bring Me Edelweiss gelang ihnen tatsächlich ein Nummer-Eins-Hit in den Charts.
Chill Out war ein für The KLF-Verhältnisse geradezu seriöses Album, frei von Beats, dafür gespickt mit Alltagsgeräuschen und musikalischem Fremdmaterial. Während aus der Ferne Hawaii-Gitarren und das von Elvis gesungene In The Ghetto wie Geisterstimmen zitiert wurden, waren im Vordergrund mähende Schafe, rauschende Blätter und vorbeifahrende Eisenbahnen zu hören. Mit denkbar einfachsten Mitteln und ohne den Zusatz eigener Instrumente hatten The KLF eine ästhetisch in sich geschlossene, atmosphärische Platte geschaffen, die verdeutlichte, was mit Sampling auch außerhalb des Dancefloor-Kontextes möglich war.

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Gianfranco Dioguardi Ange Goudar

Ange Goudar gegen das Ancien régime Das politische Testament des Louis Mandrin

Essay aus dem Italienischen übersetzt von Gabriella Bottari mit dem Testament im Anhang in der Übersetzung aus dem Französischen von 1756

 

978-3-929844-07-8
1995

Abstract: Im Jahre 1755 erscheint in Frankreich ein Pamphlet von Ange Goudar, das sich radikal gegen die Missstände des Ancien régime richtet. Diese Anklage wird unter dem Deckmantel eines politischen Testaments Louis Mandrins veröffentlicht und ist eine Hommage an jenen heute nahezu unbekannten Mandrin, der mit seiner zu einer kleinen Streitmacht angewachsenen Schmugglerbande ankämpfte.
Das im Anhang abgedruckte Testament zeigt, wie früh Goudar die Bedeutung Mandrins erkannte, dessen Aufstand als Vorläufer der Französischen Revolution gelten kann.
Gianfranco Dioguardi stellt in seinem umfassenden Essay die vielfältigen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Hintergründe für Louis Mandrins Rebellion kenntnisreich dar.

Aus dem Essay von Gianfranco Dioguardi: Im Testament politique de Louis Mandrin – eigentlich ein Pamphlet gegen das Ancien régime – nimmt Ange Goudar die Identität Louis Mandrins an, um sich über den Missbrauch durch die Generalsteuerpächter zu ereifern, den sie im Namen und unter dem Schutz einer von den Gesetzen jenes Staates geformten Legalität betrieben.
Louis Mandrin (1724–1755) war ein mythischer Gesetzloser, der hauptsächlich gegen die »fermiers généraux« kämpfte, auch mit der Absicht, den Ärmsten und Schutzlosesten zu helfen, und dabei häufig nicht ganz legal handelte. In der Geschichtsschreibung wurde er allgemein als Bandit abgestempelt. Mit der Niederschrift des Testaments liefert Goudar zwar Rechtfertigungen für Mandrins ›böse Taten‹, seine eigentliche Rehabilitation hat er aber insbesondere dem Untergang des Ancien régime im Jahre 1789 zu verdanken, als die Verantwortung der Generalsteuerpächter für die von ihnen ohne Zögern und Skrupel begangenen Verbrechen offenkundig wurde.

Aus Das politische Testament des Louis Mandrin in der Übersetzung von 1756: Der siebente BriefMein Herr General über die Schleichhändler!
Ich hatte die artigste Schwester in ganz Paris. Sie werden also leicht erachten, daß mirs an einem guten Dienst bei den Pächtern nicht fehlen konnte. Meine Schwester verunehrte sich mit einem Generalpächter, mir zur Ehre eines Gegenschreiberdiensts beym Tabac, in einer Stadt der Provinz, zu verhelfen. Aber, ach Unglück! Unlängst bekam sie die Kinderblattern, und meine Bedienung ward mir entzogen, für einen Bruder einer Schwester, die sie nicht gehabt hatte.

Ich reise augenblicklich nach Delphinat, eine Bedienung anzunehmen, die Sie mir unter Ihrer Schaar zu geben belieben mögten. Es sey, was es wolle, ich nehme sie mit Vergnügen an; damit ich mich nur an dem Gezüchte der Pächter rächen kann. Ich bin etc.

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Peter Jackob

Der Schatten

Wandel einer Metapher in der europäischen Literatur

 

978-3-929844-11-7
2001
Vergriffen

Abstract: In seiner thematologisch-typologischen Studie untersucht Peter Jackob die Metapher des Schattens in der europäischen Literatur. Auf der Basis der antiken Literatur werden die Grundtypen der Schattenmetapher bestimmt. Diese Typologie wird punktuell an einzelne Werke nachfolgender Epochen angelegt, den eigentlichen Untersuchungsgegenstand stellt aber die romantische Literatur dar. Um die jeweiligen Einflüsse auf die Schattenmetapher zu verdeutlichen, werden zusätzlich wesentliche naturwissenschaftliche, kulturphilosophische und dem Volks- und Aberglauben entspringende Vorstellungen berücksichtigt. Im Gegensatz zur Konstanz seiner physikalischen Eigenschaften steht die sich wandelnde Verwendung der Metapher in den unterschiedlichen Epochen und ihrer Verknüpfung mit autorenspezifischen Themen.
Eine metaphorische Auffassung des Schattens ist von besonderem Interesse: der Schatten als Symbol der Ich-Betrachtung, durch welche die Genese des menschlichen Geistes lesbar wird. Diese thematische Koppelung läßt sich bereits in der archaischen Lyrik nachweisen und findet sich zu allen Zeiten in den Werken der europäischen Literatur. Es wird deutlich, dass sich am Wandel der Schattenmetapher Schwellenpunkte der Bewusstseinsentwicklung festmachen lassen, wie z. B. für die Entdeckung der Persönlichkeit zur Zeit der griechischen Archaik, den Individualisierungstendenzen in der römischen Literatur oder der sich ausprägenden Verinnerlichung in der Romantik. So ist es möglich, einen Bogen von der Totenseele der Antike zum sich befreienden Schatten in Andersens Skyggen zu schlagen.
Werke folgender Autoren werden u. a. behandelt: Homer, Pindar, Aischylos, Sophokles, Euripides, Aristophanes, Platon, Vergil, Ovid, Dante Alighieri, Francesco Petrarca, Giovanni Boccaccio, Miguel de Cervantes Saavedra, William Shakespeare, Andreas Gryphius, Christian Hofmann von Hofmannswaldau, Voltaire, Denis Diderot, Novalis, Ludwig Tieck, Bettina und Achim von Arnim, Friedrich de la Motte Fouqué, Joseph von Eichendorff, Adelbert von Chamisso, E.T.A. Hoffmann, Hans Christian Andersen, Clemens Brentano.

 

Aus dem Text: Den Schatten thematisieren alle Kulturen und Religionen der Erde in ihren Mythen und Literaturen. Die Omnipräsenz des physikalischen Schattens schafft die Grundlage für die vorliegende typologische Untersuchung, denn durch sie entsteht ein Begriff, dessen Denotation über die Zeit und die Sprach- und Kulturgrenzen hinweg konstant, dessen Konnotationen aber epochen- und kulturabhängig sind. Die zentralen Eigenschaften der Denotation sind: die Nichtstofflichkeit, die Flüchtigkeit und die Zweidimensionalität. Wie in der folgenden Studie gezeigt wird, entwickeln sich aus diesen konstanten Eigenschaften heraus verschiedene Interpretationen des physikalischen Schattens in der abendländischen Literatur. Die Verwendungsweisen des Schattens spiegeln dabei die Genese der Ich-Wahrnehmung des Menschen wider.
Woher kommt das große revelatorische Potential des Schattens? Selbst für die am Modell der naturwissenschaftlichen Erkenntnis orientierten Aufklärer war der Schatten unerklärlich. Obwohl sie sonst alle irrational bestimmten Denkweisen programmatisch ablehnten, konnten sie das physikalische Phänomen nicht rational fassen. Das Scheitern der physikalischen Erklärung dieses Phänomens ergänzt sich mit der literatur- und epochenübergreifenden Interpretation des Alltagsphänomens als unerklärbar und geheimnisvoll: Bis heute gibt es keine positive Bestimmung dieses Phänomens; die Definitionen erschöpfen sich in der Feststellung, was der Schatten nicht ist.

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Konrad Kirsch

Vom Autor zum Autosalvator:
Georg Büchners Lenz

3-929844-12-5

2001
vergriffen

Abstract: Die Untersuchung geht von der These aus, dass Büchner in seiner Erzählung Lenz der Frage nachgeht, weshalb ein Autor sich für Christus hält und glaubt, ein Kind von den Toten erwecken zu können. Lenz betrachtet das Kind als alter ego, – wenn er es wieder zum Leben erweckte, würde er sich selbst von Leid und Tod erlösen. Büchner läßt ihn sein Leiden auf die Autonomie des Individuums in der Moderne zurückführen. Diese Entwicklung versucht Lenz auf psychischer, ökonomischer und künstlerischer Ebene rückgängig zu machen. Dazu wendet er sich von der Kunst ab und der Religion zu. Im Kunstgespräch überträgt Lenz die Eigenschaften des Kunstwerks auf die Welt und erstellt das Modell für die Erweckung des Kindes. Gelänge sie, würde sich Lenz als Sohn Gottes erweisen, dessen apokalyptische Wiederkehr die Moderne und das Leiden an ihr hinwegfegte. Dies lässt vermuten, dass Büchner an Lenz seinen Wunsch nach sofortiger Revolution fiktional durchspielt und scheitern lässt. Daran anschließend wird die höchst artifizielle Architektur der Erzählung nachgezeichnet.
Im zweiten Teil des Autosalvators wird gezeigt, dass Lenz und Leonce und Lena komplementär angelegt sind: im Gegensatz zu Lenz gelingt den Liebenden die wechselseitige Selbsterlösung im alter ego. Aus der Untersuchung der beiden Texte wird das Strukturschema von Erlösung und Mord abgeleitet, das den Schlüssel zu Büchners literarischem Werk liefert, und auf Dantons Tod und Woyzeck angewendet.

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Konrad Kirsch

Canetti und Rousseau

978-3-929844-13-9

2002

vergriffen

Aus dem Text: Peter Kien, der Protagonist in Elias Ca­net­tis Roman Die Blendung, ver­bringt fast den gesamten Tag in seiner Bibliothek. Nur in den Mor­­­­genstunden un­­ternimmt der Gelehrte täglich einen kleinen Spa­zier­gang, um die Auslagen der umliegenden Buch­hand­­lungen zu be­gutachten. Die Begebenheiten, die sich auf die­sen Aus­­flü­­gen in die Welt der »Analphabeten« zu­­tra­­gen, ver­­­zeichnet Kien in einem Notizbuch, das er irgend­wann einmal un­­ter dem Ti­tel »Spa­zier­gän­ge eines Si­­no­lo­gen« zu ver­öf­­fentlichen ge­denkt. – Mit diesem Titel spielt Ca­netti gleich zu Be­ginn sei­nes Ro­mans auf Jean-Jacques Rous­seau an. Doch nicht des­sen Band Les rêveries du pro­meneur so­litaire (1782) ist zen­tra­l für Die Blen­­­­dung; der Ti­tel von Kiens No­­tiz­buch dient lediglich da­zu, auf Rous­­­­seau im all­ge­mei­nen zu verweisen. Viel­schich­tigen Be­zug nimmt Ca­­netti hin­gegen auf dessen Discours sur l´ori­gine et les fon­­de­mens de l´in­éga­li­té parmi les hommes (1755).

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Konrad Kirsch

Auf der Himmelsleiter: Robert Walsers Jakob von Gunten

978-3-929844-19-2

2004

Abstract: In der Himmelsleiter wird die Struktur von Robert Walsers Erzählung Jakob von Gunten untersucht. Außer den binnentextuellen Motiven und Korrespondenzen mit anderen Texten Walsers erweisen sich die intertextuellen Bezüge der Erzählung hierfür als Schlüssel.
Jakob von Gunten ist neben anderem eine Künstlergeschichte. Ihr ist die Geschichte des biblischen Jakob unterlegt, der Walser das Motiv der Himmelsleiter entlehnt. Diese Leiter ist in den Namen des Protagonisten eingeschrieben: Jakob von Gunten kommt »von ganz unten«, wie es in der Erzählung heißt, und will nach ganz oben. Wie der alttestamentliche Jakob schließt er nach heftigem Ringen einen Bund mit Gott – und zieht mit ihm in die Wüste, fern allen Kulturbetriebs.
Auf einer zweiten Ebene ist die Erzählung von den Jenseitsvisionen Emanuel Swedenborgs geprägt. So ist die eigentümliche Welt der Dienerschule der Swedenborgschen Geisterwelt nachgebildet, und die Art und Weise, wie einige Figuren der Erzählung auftreten, entspricht dem, was Swedenborg über das Verhalten der Engel und Geister zu berichten weiß. In einem weiteren Abschnitt werden die Korrespondenzen von Jakob von Gunten und einer kurzen Geschichte Walsers, Die Buben Wiebel, betrachtet. Durch sie erweist sich die Erzählung auch als Hommage an die republikanische Schweiz.

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Konrad Kirsch

In der Geisterwelt: Kafkas Affe und Der Verschollene

978-3-929844-20-7
2004

Abstract: Franz Kafkas Erzählung Ein Bericht für eine Akademie schildert, wie der Affe Rotpeter zum Menschen und schließlich zum Varietékünstler wird. Das Thema der Erzählung ist also die Künstlergenese, deren Voraussetzung die Menschwerdung ist. Auch Rousseau verfasste ›einen Bericht für eine Akademie‹, an die von Dijon. So ist bereits der Titel von Kafkas Erzählung eine deutliche Anspielung auf den Discours sur l’origine et les fondemens de l’inégalité parmi les hommes. In ihm entwickelt Rousseau das Konzept des Naturmenschen, der seiner Ansicht nach mit jenen Menschenaffen identisch ist, von denen zeitgenössische Übersee-Reisende berichten. Aufgrund der Eigenschaft des Menschen sich zu vervollkommnen sei aus diesem Affenmensch der Zivilisierte hervorgegangen. Dem Muster dieser Entwicklung folgt die Künstlergenese in Kafkas Ein Bericht für eine Akademie.
Der Bericht nimmt u.a. auf einen zweiten Text Bezug. Bei seiner Gefangennahme wird der Affe Rotpeter angeschossen und nach Ansicht des Verfassers getötet. Dem entsprechend ist das Schiff, das Rotpeter nach Europa bringt, eine Totenbarke. In Himmel und Hölle beschreibt Emanuel Swedenborg das Dasein der menschlichen Geister im Jenseits: Dass sie nicht wissen, dass sie tot sind; dass dort jeder sein innerstes Wesen offenbart und so sein ›eigentliches Leben‹ lebt: als Engel oder Teufel. Bei seiner Umgestaltung stehen ihm jene zur Seite, die bereits Engel oder Teufel sind – wie die Matrosen, die Rotpeter bei seiner Mensch- und Künstlerwerdung helfen und ihm in Form hochprozentiger Spirituosen den Heiligen Geist eintrichtern.
Auch Kafkas Amerika-Roman Der Verschollene lässt sich mit Swedenborg neu lesen. Karl Rossmann wurde »umgebracht«, wie Kafka in seinem Tagebuch festhält, und gelangt auf einer Totenbarke nach Amerika: in die neue Welt, ins Jenseits, wo er wie der Affe Rotpeter ein »neue[s] Leben« beginnt. Als erstes muss Rossmann Englisch lernen – die Sprache der Engel. Im folgenden trifft er auf gute und böse Geister; vor allem Delamarche und Robinson wollen ihn in ihre Hölle hinabziehen, wo Brunelda ihr ebenso skurriles wie grausames Regiment führt. Rossmann kann entkommen, und menschliche Engel weisen ihm den Weg: »hunderte Frauen als Engel gekleidet in weißen Tüchern mit großen Flügeln am Rücken[, die] auf langen goldglänzenden Trompeten bliesen«. Im Theater von Oklahoma gerät Rossmann in eine jener bürokratischen Prozeduren, die für Kafka typisch sind. Bei ihrer Gestaltung greift Kafka ebenfalls auf Swedenborgsche Motive und Strukturen zurück. Das gleiche gilt für die Künstlermotivik im Verschollenen, denn das Reich, in dem das göttliche Genie residiert, ist der Himmel.

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Konrad Kirsch

Die Masse der Bücher

Eine hypertextuelle Lektüre von Elias Canettis Poetik und seines Romans Die Blendung

 

978-3-929844-22-1
2006

Rezension: »Die Studie rekonstruiert anhand der zentralen, oft untersuchten Begriffe wie Masse, Verwandlung, Überleben usw. Canettis Poetik, die als dualistisches und seit den frühen 1930er Jahren einheitliches System verstanden wird. Zum Verständnis der Blendung wird Intertextualität als konstitutiv erachtet; nach Genettes Modell wird der Roman als Hypertext aufgefasst, in dem zahlreiche Hypotexte fortwirken, satirisch, spielerisch oder ernst transformiert. Der Verf. bringt diese Transformationen trefflich auf Begriffe, die teilweise aus Aufzeichnungen Canettis gewonnen werden: Von Umstülpen, Verknappen, Übertreiben, »Partagierung« (S. 34) – der Verteilung des Hypotexts auf mehrere Figuren – und »Amphibolie« (S. 35) – dem erzeugen von Mehr-, ja Meistdeutigkeit – ist die Rede. Die wichtigsten literarischen und philosophischen Hypotexte der Blendung werden in ihrer Bedeutung für den Roman dargestellt; darunter auch zwei bislang übersehene Hypotexte, J. Goldsteins Wandlungen in der Philosophie der Gegenwart (1911) und der erste King Kong-Film (1933), der sowohl im Gorilla des Romans stecken könnte als auch in Fischerles gescheitertem amerikanischem Traum – allerdings soll Canettis Manuskript 1931 beendet gewesen sein. Die Monographie ist als systematische Enzyklopädie der Blendung-Prätexte hilfreich, wenngleich Canettis Poetik etwas starr aufgefasst wird und die Forschung nur bis 2001 eingearbeitet ist.«

Sven Hanuschek in Die Germanistik (Bd. 49 2008, Heft 1–2)

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Replik auf Katrin A. Schneiders Verriss meiner Dissertation Die Masse der Bücher in literaturkritik.de Nr. 4, April 2007
Sehr geehrte Redaktion,
»Wenn ein Buch und ein Kopf zusammenstoßen und es klingt hohl, ist das allemal im Buch?« musste schon Lichtenberg fragen.
Ihre Rezensentin ist offenkundig vom unbedingten Willen zum Verriss geleitet – was zur Folge hat, dass die gegen mich erhobenen Vorwürfe der Blendung und der mangelnden Sorgfalt auf sie selbst zurückfallen.
So erfahren Ihre Leserinnen und Leser – wenn überhaupt – nur sehr ungenügend, worum es in meiner Arbeit geht. Canetti und Intertextualität, ja – aber wie hängt beides miteinander zusammen? Hat die Inter- oder besser: Hypertextualität bei Canetti eine spezifische Funktion? Setzt er mit ihr seine Poetik um? Wie stellt sich diese Poetik dar? Lässt sich Canettis Werk über die Texte, auf die er sich bezieht, kontextualisieren – historisch, literarisch, philosophisch?
Keine dieser Fragen wird von Ihrer Rezensentin behandelt. 
Statt dessen stellt sie Behauptungen auf, die sie nicht oder wenig stichhaltig belegt, und wenn sie argumentativ vorgeht, dann verfährt sie rein formalistisch, sie bläht kleine Ungenauigkeiten auf und macht ihre Kritik an einzelnen Punkten fest, die sie willkürlich herauspickt oder aus dem Zusammenhang reißt – und praktiziert damit, was sie mir vorwirft. Auf diese Weise enthält sie Ihren Leserinnen und Lesern die Konzeption des Projekts vor und entstellt seine Durchführung.
Dabei ist es gar nicht so schwer. Für Canetti geht es immer um Leben oder Tod. Der Tod ist sein größter Feind, und ihm kann man nur entrinnen, indem man sich permanent verwandelt. Das heißt, über je mehr Identitäten man verfügt, desto ferner ist man dem Tod. Der Ort, an dem diese Identitäten versammelt sind, ist die Masse. Das macht sie zu Canettis Utopie. 
Er verräumlicht psychische Vorgänge und faßt umgekehrt körperliche Prozesse psychisch auf. Es gibt folglich nicht nur eine äußere Masse, sondern auch eine innere, psychische: die »Masse in uns«, wie es in der Blendung heißt. Aufgabe des Dichters ist es, mittels der Literatur diese innere Masse zu vergrößern und so das Lebenspotential des Lesers zu steigern. 
Was für den Menschen gilt, gilt strukturell auch für Canettis Figuren: Auch in ihnen sind andere Figuren versammelt, auch sie haben eine Masse in sich, bestehend aus den Figuren der Weltliteratur. Die Konzeption seiner Figuren legt Canetti in dem Alptraum des Protagonisten der Blendung offen: »Da zückt der rechte Jaguar einen Steinkeil und stößt ihn dem Opfer« – also Kien – »mitten ins Herz. […] Entsetzlich: aus der aufgerissenen Brust springt ein Buch hervor […] Das Opfer reißt die Brust weit, weit auseinander. Bücher, Bücher kollern hervor. Dutzende, hunderte, sie sind nicht zu zählen […]«. 
Kien besteht also aus einer – Masse – von Büchern; sie machen das »Herz« von Canettis Figuren aus.
Mit diesen Büchern und ihrer Funktion beschäftigt sich der zweite Teil meiner Arbeit: die hypertextuelle Lektüre der Blendung und Canettis Poetik. 
Einige der dort behandelten Autoren, Stoffe und Motive sind: Platon, Rousseau, Hobbes, King Kong, Sophokles, die Bibliothek von Alexandria, Freud, Dante, Aristoteles, Giordano Bruno, Don Giovanni und der Steinerne Gast, der Totentanz, die Himmelsleiter, der Ur-Adam, Bergson und die Lebensphilosophie, Shi Hoang Ti, die Chinesische Mauer und chinesische Begräbnisriten, der Erste Weltkrieg und der Volkskörper, Pinel, die Französische Revolution, Dionysos und die Frühromantik.
Mit schönem Gruß

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Konrad Kirsch

Praktizierte Feindesliebe: Romeo und Julia

978-3-929844-29-0
2008
Vergriffen

Loving the Enemy Put Into Practice: Romeo and Juliet – Abstract: William Shakespeare’s tragedy Romeo and Juliet playfully examines Christian principles under ›real world‹ conditions. Baz Luhrmann’s film version Romeo + Juliet emphasizes the Christian subtext, as the cross-like plus-sign in the title clearly indicates.
Romeo and Juliet follow the commandment of loving the enemy. However, even in a Christian world, love for the enemy is forbidden. The clash of a Christian principle with the reality of Christianity is the tragic core of Shakespeare’s drama. 
Thus, the actual conflict that is played out in the drama is not the conflict between the Capulets and the Montagues, but the conflict between the lovers and their hostile families: between love and hate. Friar Laurence supports the lovers because he recognizes that Romeo and Juliet have turned hate to love. This could offer more than just a model for reconciling their families. »There is no world without [outside] Verona walls«: the city of Verona is equal to the world. Thus, if it were possible »to turn […] rancour to pure love« in Verona, the reconciliation of the world would be the consequence. 
These hyperbolic expectations have a precedent in real life: the feud of the Capulets and the Montagues is a transformed version of the Wars of the Roses, which ended with the marriage of Henry VII of the House of Lancaster and Elisabeth of the House of York. According to the Tudor myth, this marriage marked the beginning of a golden age, just as the marriage of Romeo and Juliet would make paradise on earth possible.
At the beginning of the drama, Romeo has not yet found his role. This changes when he meets Juliet: he drops his last name and is newly baptized as the lover. However, he holds a double role: Romeo is also depicted as a Christ character. As Christ, he is the god of love, and that is why Juliet has to fall in love with him. 

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Konrad Kirsch

Filmanalyse: Nolan

Die Zukunft schlägt zurück – Der Klimakrieg in Christopher Nolans Tenet im Kontext seiner bisherigen Filme nebst einer Abschweifung zu Skyfall von Sam Mendes unter Berücksichtigung von ›William, tell‹ Burroughs

 

eBook
978-3-929844-32-0
2022

Aus dem Text: Die arenaartige Staffelung der Publikumsränge lässt erahnen, dass das Kon­zert nicht statt­finden wird. Fest­lich ge­kleidete Menschen neh­men Platz, hinter ihnen wird eine schall­dichte Kon­struk­tion herab­ge­lassen, die den Kon­zert­saal wie ei­ne Mau­er umschließt. Die Mu­siker der ukrainischen Nationaloper über­prü­fen ein letz­tes Mal ihre In­stru­mente, bis der Di­ri­gent mit dem Takt­stock ge­gen das Notenpult schlägt. Ein Mo­ment des Inne­hal­tens. Doch in die Stil­le ent­fal­ten sich nicht Har­mo­nien: Harte Schüsse fal­len, ver­mumm­te Söldner werfen die Mu­si­ker bru­tal zu Bo­den, zer­tre­ten ih­re Ins­tru­mente und drang­sa­lie­ren das Pub­li­kum. Von au­ßen dringt ein gleich­falls mas­kiertes Ein­satz­team ins Opern­haus und leitet Gas in den Kon­zert­saal. Einer von ih­nen wird sich als der ›Pro­ta­go­nist‹ (John Da­vid Wa­shing­ton) von Tenet er­wei­sen. Er eva­ku­iert ei­ne Per­son aus der Ge­fah­ren­zo­ne und sichert ei­nen obs­ku­ren Ge­gen­stand vor den Söld­nern, die im Dienst des rus­si­schen Waf­fen­händlers Andrei Sator (Ken­neth Bra­nagh) stehen. Als wä­ren die gleichzeitigen An­griffe zwei­er be­waffneter Grup­pen nicht ver­wir­rend ge­nug, wird dem na­men­los blei­ben­den ›Pro­ta­go­nis­ten‹ von ei­nem Un­be­kann­ten das Le­ben ge­ret­tet. Ein­zig über eine klei­ne Mes­sing­schei­be, die an sei­nem Ruck­sack baumelt, wird ge­gen Ende des Films auf­ge­löst, dass es sich bei ihm um Neil (Ro­bert Pat­tin­son) han­delt, der ersten Fi­gur, die das The­ma Freund­schaft in No­lans Filme ein­trägt. Um all dies be­reits beim ers­ten An­schau­en von Tenet zu er­fas­sen, muss man ziem­lich ge­nau zu­se­hen.
»Sehen Sie auch genau zu?« – mit dieser Frage aus dem Off be­ginnt Chris­to­pher No­lans Film The Prestige, der knapp ein­ein­halb Jahrzehnte vor Tenet er­schien.

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Konrad Kirsch

Elias Canettis Poetik der Masse

eBook

978-3-929844-35-1
2024

Abstract: Elias Canettis Poetik ist darauf ausgerichtet, den Tod in all seinen Erscheinungsformen zu bekämpfen. Umgekehrt will er mittels eines poetischen Animismus potentiell die gesamte Welt beleben.
Mit der Episode um den Schmied Jean gibt Canetti die hypertextuelle Lektüre zur Analyse seines Romans Die Blendung vor. Dies liefert den Rahmen für die Betrachtung von vier Aspekten der Blendung: Kiens Bezug zum ersten chinesischen Kaiser Shi-Hoang-Ti und zum chinesischen Ahnenkult; Kien transformiert die Tod-Figur des Totentanzes und des Motivs ›Der Tod und das Mädchen‹; in den »Gorilla« der Blendung sind Rousseaus Naturmensch und King Kong eingegangen; schließlich: King Kong als Film über den Versuch eines Ausgegrenzten, sich zu integrieren, und dessen Einfluss auf die Gestaltung des Juden Fischerle in der Blendung. Abschließend wird die Messer-Metapher in Canettis Werk betrachtet.

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Konrad Kirsch

Von Doodlebug zu Oppenheimer

Eine Analyse des filmischen Werks von Christopher Nolan

eBook
978-3-929844-33-7
2024

Abstract: Christopher Nolans Werk bildet ein Corpus, aus dessen Analyse sich seine Poetik ableiten lässt. Den Schlüssel dazu stellen The Prestige und das Skript der Zaubertricks dar. Sämtliche Filme Nolans nach Insomnia sind davon geprägt: Es geht um Tricks, Täuschung und den Versuch, die Welt von Neuem zu verzaubern.
Nolan verbindet dies mit weiteren Themen: Inception stellt eine Allegorie aufs Filmemachen dar. Der Joker in The Dark Knight erweist sich als Verkörperung des Neoliberalismus, und mit Bane profitiert in The Dark Knight Rises ein Populist von der Zerstörung, die der Neoliberalismus anrichtet. In Interstellar und Tenet geht es darum, wie die Menschheit auf die Klimakatastrophe reagiert: In Interstellar bleibt ihr nur die Flucht ins All; in Tenet wird die Gegenwart von künftigen Generationen attackiert, weil wir ihre Lebensgrundlagen zerstören. Mit der Atombombe gibt der Protagonist von Oppenheimer der Menschheit die Macht, sich selbst zu zerstören. Damit läutet er nicht nur das Nuklearzeitalter ein, sondern auch das Anthropozän.
Weitere zentrale Themen der Analyse sind unter anderem: der Angriff auf die Kyiwer Oper in Tenet und der russische Angriffskrieg 2022 gegen die Ukraïne; die Bezüge in Inception auf Solaris von Andrei Tarkowski; die toten Frauenfiguren in Nolans Filmen in Relation zu Edgar Allan Poes The Philosophy of Composition; in den Flugzeugen in Nolans Filmen sind die Kanarienvögel aus The Prestige transformiert; die Flucht von der Erde in Interstellar wird von der Evakuierung in Dunkirk ergänzt; die Wechselbeziehungen zwischen Interstellar und Zack Snyders Man of Steel; der Neoliberalismus wird in Michael Manns Thriller Thief gespiegelt; die Anspielungen in Tenet auf den James-Bond-Film Skyfall, und was es bedeutet, dass Nolan in Interstellar die Rolle einer Fliehenden und in Oppenheimer die eines Atombombenopfers mit seiner Tochter Flora besetzt.

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Konrad Kirsch

James Bonds Himmelssturz in Skyfall

unter Berücksichtigung von ›William, tell‹ Burroughs

 

eBook
978-3-929844-34-4
2024

Abstract: Mehr als in vergleichbaren Filmen geht es in der James-Bond-Rei­he um Männer- und Frau­en­bil­der. Vor dem Hintergrund der sich wandelnden Geschlechterverhältnisse sucht James Bond in Skyfall nach einer neuen Identität. Die Ho­mo­se­xualität des Schurken Silva ist eine Chiffre für Misogynie, und sein Femizid an Sévérine re­kurriert auf den Tod von Joan Vollmer, die William S. Burroughs bei einem Wilhelm-Tell-Spiel erschoss.
Daraus leitet sich auch der Untertitel des eBooks ab: Der künftige Beatpoet William S. Burroughs tötete tragischerweise seine Frau Joan Vollmer, als sie volltrunken den Wilhelm-Tell-Schuss nachstellen wollten. Hier verunglückte ein in Szene gesetzter Scherz, da Burroughs den englischen Titel von Schillers Drama offenbar als Aufforderung zu erzählen verstand: William, tell! Nach eigenem Bekunden wurde William S. Burroughs erst durch den Tod seiner Frau Joan Vollmer zum Schriftsteller.
Die Untersuchung ­klärt des weiteren, weshalb Bond in Dr. No auf die von ihm bevorzugte Pistole, eine Beretta, verzichten muss und stattdessen von dem ›Triumvirat‹ Walther PPK, Aston Martin und Wodka Mar­tini durch die Filmreihe begleitet wird. Diese Befunde werden in Bezug zu Spectre und No Time to Die gesetzt.

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Lars Koch

Horror als Kulturkritik

Von Zombies, Untoten und anderen lebendigen Wiedergängern der neoliberalen Kontrollgesellschaft

 

978-3-929844-30-6
2008

Aus dem Text: Der Zombie, das ist der Mensch von nebenan, der lebt, ohne Subjekt der Geschichte zu sein, ohne zu wissen, warum und was denn bitte schön nach dem Ende der großen Erzählungen ein möglicher Masterplan des Daseins sein könnte. Er ist derjenige, der mit den Verhältnissen um sich herum sich abzufinden genötigt wurde. Ein leerer Mensch. So wie Marry Shelleys Frankenstein als das romantisches Produkt einer ersten Krise des rationalistischen Weltbildes gelesen werden kann, so sind die filmischen Zombies, von denen ich nun anhand von vier Filmbeispielen des Regisseurs und Autors George A. Romero erzählen will, als Wiedergänger jener Kultur- und Sinnindustrie zu verstehen, die das Leben in der Kontrollgesellschaft spätkapitalistischer Prägung bestimmt.

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Armand Nivelle

Dreizehn Aufsätze zur Komparatistik

Mit einem Vorwort von Manfred Schmeling und einer Einführung von PatrikFeltes. Herausgegeben von Patrik Feltes, Konrad Kirsch, Marion Kleer, Alexandra Neuschl, Tim Philippi, Jörg Theis, Christian Winterhalter

 

978-3-929844-17-7
2004

Aus der Einleitung der Herausgebenden: Den geisteswissenschaftlichen Disziplinen haftet häufig der Ruf an, sie verlören sich in beständiger Methodenreflexion und dadurch ihren jeweiligen Gegenstand aus dem Blick. Dies scheint insbesondere für die Literaturwissenschaft zu gelten. Jeder ›neue‹ wissenschaftliche Ansatz stellt ausführlich sein Methodenrepertoire, möglichst mit einer spezifischen Terminologie verknüpft, vor und häufig scheint der Erkenntnisgegenstand, nämlich die Literatur, darüber zur lästigen Nebensache zu werden.
Umso erfrischender und gewinnbringender ist die Lektüre der über einen Zeitraum von fünfzig Jahren entstandenen Aufsätze von Armand Nivelle. Dem beständigen Wechsel wissenschaftlicher Moden hat er sich stets entzogen und das Spezifische der Literatur, insbesondere die ästhetische Qualität des individuellen literarischen Textes, im Blick behalten. ›Eine Methode ist – schon etymologisch – ein Weg zum Ziel.‹ Aufgrund dieses Leitsatzes sind alle hier versammelten Aufsätze durch eine beständige Verknüpfung von theoretischem Erkenntnisinteresse und sorgfältigen Analysen der jeweiligen Texte gekennzeichnet.

In den Dreizehn Aufsätzen behandelt Armand Nivelle die Frage Wozu Vergleichende Literaturwissenschaft? und beschäftigt sich mit folgenden Autoren: Walter von der Vogelweide, Novalis, Thomas Mann, Rainer Maria Rilke, Franz Kafka, Gotthold Ephraim Lessing, Giovan Bellori und Marcel Proust, Paul Gérardy und dem George-Kreis.

 

Aus dem Text: Die Literaturen sind – diachronisch und synchronisch – ineinander so verzahnt, dass es fast willkürlich anmutet, sie einzeln zu betrachten. Das trifft in vollem Maße zu für die Literaturen des gleichen Kulturraumes, aber erstaunlicherweise auch z.T. für einander fremde Literaturen, die sich ohne wesentliche Kontakte zueinander autonom entwickelt haben. Es genügt hier, die Namen Zirmunskij und Etiemble zu erwähnen. In der Geschichte der europäischen Literaturen dominieren die Einheitsmomente dermaßen, dass in den meisten Epochen das Nationale nur als Spielart in einem größeren Ganzen erscheint und nur mit Hilfe einer Konfrontation mit diesem Ganzen adäquat definiert werden kann. Es gibt keine europäische Literatur, die eine völlig autonome Entwicklung aufzuweisen hat.

[…]

Das Bewusstsein des übernationalen Kontextes und der Be­zie­hung der Li­teratur zur geistigen und historischen Umwelt bestimmt die Fra­­­­ge­­stel­lung der Kom­paratistik und ihr Erkenntnisinteresse. Sol­ches Be­wusst­­sein bedingt ihre sinn­volle Funktion in der Li­te­ratur­wis­sen­­schaft über­haupt. Es prägt alle Ebenen der Li­te­ra­tur­be­trach­tung: die Ge­schich­te, die Theorie, die Kritik und auch die Didaktik.

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Dominik Schmitt

Zu Bodo Kirchhoffs Erzählung Die Weihnachtsfrau

Weihnachtsmann-Darsteller zwischen Versagensängsten, Gender-Problemen und Verwahrlosung

 

978-3-929844-27-6
2008

Aus dem Text: Weihnachtsmann-Darsteller repräsentieren ein Weihnachtsfest, das durch unterschiedlichste Erwartungen emotional aufgeladen wird: durch Geborgenheits- und Idyllensehnsüchte, durch den Wunsch nach intakter Ordnung und heiler Welt, durch das Streben nach einer Rückversetzung in die als paradiesisch empfundene, längst verloren geglaubte Kindheit. Da das Fest diese Erwartungen jedoch niemals befriedigen kann, erstarrt es in ritualisierten Inszenierungen und Rollenspielen, die eine Erfüllung der Wunschträume zumindest kurzfristig suggerieren. In der Literatur des 20. Jahrhunderts sind gerade Weihnachtsmann-Darsteller wegen ihrer doppelten Identität zu idealen Projektionsfiguren für das daraus resultierende Spannungsverhältnis zwischen Schein und Sein geworden.
Unter den künstlichen Rauschebärten verbergen sich in der Regel Studenten, Rentner oder Arbeitslose, die völlig unsentimental auf die spärlichen Einnahmen aus ihren Auftritten angewiesen sind. Dementsprechend verkörpern Weihnachtsmann-Darsteller in der Literatur die Überblendung des Bildes eines übernatürlichen Wesens ohne Fehl und Tadel durch das Bild eines menschlichen Schauspielers mit einer Vielzahl von Unzulänglichkeiten.
Während dabei die Grundstruktur der Weihnachtsmann-Figur erhalten bleibt (Aussehen, Auftritt, usw.), wird deren Bedeutung durch literarische Auftritte von Weihnachtsmann-Darstellern konterkariert. Einzelne Charakteristika der Figur werden im Anschluss daran in ein Amalgam aus der ursprünglichen und einer neuen Bedeutung überführt, so dass der Fokus nicht mehr auf die mythische Instanz, sondern auf das menschliche Subjekt unter der Verkleidung gerichtet wird. Auf diese Weise wird evident, dass Weihnachtsmann-Darsteller als literarische Figuren vorrangig die Frage nach struktureller Kontinuität und inhaltlichen Brüchen aufwerfen. Somit vereinigen sie in Personalunion die These und die Anti-These der originalen Weihnachtsmann-Figur.

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Martin Schmitt

Nichts als die Wahrheit

Sprache und Welt in Ror Wolfs Prosa

 

978-3-929844-18-4
2004
Vergriffen

Abstract: Ror Wolf ist einer der bekanntesten unbekannten Gegenwartsautoren des deutschsprachigen Raums. Nach seinem Roman-Debüt Fortsetzung des Berichts, erschienen 1964, sind es vor allem kürzere Prosatexte, Hörspiele und experimentelle Fußballliteratur, die seinen Ruf als exzellenten Sprachbeherrschungskünstler bei einem eher überschaubaren Kreis von Liebhabern der Groteske wie auch des Feinsinnigen und Philosophischen festigen.
In dieser kleinen Studie wird auf die Relation des literarischen Umgangs mit Sprache und der stetig stattfindenden Weltaneignung hingewiesen, die so signifikant ist für Wolfs Texte. Die Wahrheit der Welt entspricht der Wahrheit der Sprache, die wesentliche Verbindung ist ihrer beider Lebendigkeit, die sich artikuliert in der Verweigerung des Stillstandes. Das Ergebnis sind Texte, die sich auf das große Spiel zwischen Sprachlust und Sprachskepsis einlassen und den Leser auf eine unendliche Reise in die unendliche (Sprach-)Welt mitnehmen.

Aus dem Text: Der Begriff der Wahrheit, der diesen Überlegungen in der bekannten Floskel vorangestellt wird, wird derzeit in – um es euphemistisch auszudrücken – unorthodoxer Art gebraucht. Einerseits sind es die Gesinnungstäter aus der Yellow-Press, die durch unerträglichen Subjektivismus einer Wahrheit als reinster Form von Idiosynkrasie Vorschub leisten; andererseits sind es sogenannte Chefvolkswirte, die Begriffe und die damit verbundenen Werte von Gesellschaft, Kultur und auch Natur zugunsten einer indoktrinierenden instrumentellen Vernunft entwidmen, um eine monetäre Ordnung zu stabilisieren, deren Gedankengut der Globalisierung – ganz im Gegensatz zum selbst erklärten Ziel – geprägt ist von geistiger Provinzialität.
Adorno, dessen Skeptizismus gegenüber der Kulturindustrie angesichts der erwähnten Auswüchse von unbestrittener Bedeutung ist, beschreibt die Beziehung von Kunst und Wahrheit folgendermaßen: »Kunst geht auf Wahrheit, ist sie nicht unmittelbar; insofern ist Wahrheit ihr Gehalt. Erkenntnis ist sie durch ihr Verhältnis zur Wahrheit; Kunst selbst erkennt sie, indem sie an ihr hervortritt. Weder jedoch ist sie als Erkenntnis diskursiv noch ihre Wahrheit die Widerspiegelung eines Objekts.«